Gelegenheits- und andere ZEN-Gedichte

Vermutlich hat die geschriebene Literatur mit einem Gedicht begonnen. Dafür spricht seine Kürze und die geballte Kraft seiner Aussage. Man konnte auf kleinem Raum große Wirkungen erzielen.

Man könnte vermuten, dass das Wort Gedicht etymologisch mit verdichten und gedeihen zu tun hat, doch diese sprachliche Ähnlichkeit hat sich erst später ergeben. Dichten geht zurück auf das banale lateinische dictare.

Schade, denn in dieser Doppelbedeutung des althochdeutschen Wortes thihan verdeutlicht, was ein Gedicht ist oder sein sollte, etwas Verdichtetes, das Ausdruck ist eines schöpferischen Prozesses. Und wenn man die Verwandtschaft des Wortes ‚gediegen‘ dazu nimmt, dass es auch noch Qualität besitzt.

Ein Leser mag sich fragen, warum schreibt jemand ein Gedicht und sagt nicht einfach in Prosa, was er sagen will? Will er durch die Gedichtform seine Aussage aufwerten? Es hat einen anderen Grund. Die Regeln, die Einschränkungen, die man wählt und denen man sich aussetzt, wenn man an einem Gedicht arbeitet, fördern das Schöpferische.

Was hat das mit Zen zu tun? Man könnte Zen definieren als konzentriertes, verdichtetes, intensives Leben (Dogen). Schon hier zeigt sich die Nähe zum Gedicht und anderen Werken der Kunst. Und viele Zen-Meister sagten das, was sie sagen wollten, in höchst komprimierter Form, in einem kurzen Satz oder in einem Wort.

Und ein Leben mit und in Zen ist geeignet die Quelle des Schöpferischen durchlässig und frei zu machen. Man kann jemandem, der ein schöpferisches Leben führt oder führen möchte, empfehlen, Zen zu praktizieren. Die Frage ist allerdings, wo findet man dieses Zen, das sich nicht früher oder später als Sackgasse erweist?

Die Zen-Lehre sagt, dass die gesamte Wirklichkeit identisch ist mit dem, was im Zen Wahres Wesen genannt wird. Und der Zen-Weg besteht darin, sich auf die Wirklichkeit mit allen Sinnen einzulassen, solange, bis die Verwandlung geschieht in das, was wir schon immer sind, und was wir bisher nur indirekt wahrgenommen haben.

Zen ist Leben, alltägliches Leben, doch Leben ist nicht immer Zen. Es gibt ein wunderbares Buch über Zen, Der Ochs und sein Hirte, Gedichte und kleine Prosatexte aus dem frühen, Bilder aus dem späten fernöstlichen Mittelalter. Die Begegnung mit dem Ochsen, sprich dem wahren Wesen, ist eine unbeschreiblich wertvolle Erfahrung, doch es ist eigentlich erst der Anfang des Zen-Weges. Denn es ist uns auch dann noch lange nicht möglich, ständig im wahren Wesen zu leben.

Zurück zu den Gedichten. Der Ausgangspunkt ist, dass mich etwas bewegt, mir etwas zu schaffen macht. Und die Arbeit an einem Gedicht ist nicht nur etwas, was Freude macht, sondern sie verändert auch das Erleben. Es geht mir dann meist besser. Es sind Gedichte aus den letzten zwanzig, dreißig Jahren. Und es fällt mir auf, dass die älteren Gedichte oft düsterer und resignativer sind als die neueren. Es scheint, dass ich mit dem Alter jünger geworden bin.